Marken im Mittelstand: Das sind die Indikatoren für Markenschwäche

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Kongresse sind gut besucht und Branchenmagazine schnell verkauft, fällt nur das Wort Digitalisierung. „Nichts ist mehr, wie es war“, verkünden gut gegelte Mit-Dreißiger in Sneakers und mit buntem Foulard um den Hals und machen das Publikum ganz wuschig. Dabei gilt auch 2017 immer noch: Markentreue beginnt immer im Unternehmen. Von Dr. Oliver Errichiello.

Das Credo der neuen Gurus: Digitalisierung stellt durchgesetzte Branchengesetze auf den Kopf, neue Mitspieler treten auf, der heimatliche Handel will sowieso nur noch über Rabatte sprechen und in der eigenen Branche kann man froh sein, wenn etwas weniger Umsatz verloren geht als beim Wettbewerber – vom Gewinn ganz zu schweigen.

Aber ist es so einfach? Liegen die Gründe für die Schwierigkeiten eines Unternehmens immer zuerst im ominösen Markt, oder könnte es durchaus sein, dass zunächst das Unternehmen sich und damit seiner Kundschaft untreu geworden ist, weil man den angestammten Erwartungshaltungen nicht mehr leistungsspezifisch entsprochen hat?

„Merkt doch keiner“, oder „Ist nicht mehr zeitgemäß“ sind Alarmsignale, die eben die Ursachen in Gefahr bringen, die einst den guten Namen eines Unternehmens begründeten. Auch 2017 gilt immer noch: Markentreue beginnt immer im Unternehmen.

Wenn die Marke schwächelt, gibt es dafür im Unternehmen meist seit längerer Zeit Indizien. Sie finden sich jedoch aufgrund tagesgeschäftlicher Hektik wenig Beachtung. Wie können Verantwortliche dennoch Schwachstellen erkennen und ihre Markenkraft remobilisieren?

Marken-Fitnesstest

Folgende Stufen der Markenschwäche lassen sich typischerweise ausmachen:

Stufe 1: Kurzfristiges Leistungstief

  • Steigende Aktionsanteile
  • Große Preisspreizungen innerhalb des Kanals bzw. zwischen den Kanälen
  • Zunehmende Händleraktionen mit der Marke
  • Segmentsausweitungen auf Trendprodukte

 

Stufe 2: Strukturprobleme

  • Einführung von Zweitmarken
  • Zunehmende Präsenz in Billigkanälen und entsprechenden Outlets (analog wie digital)
  • Abbau der Vertriebsbreite
  • Überarbeitung der Marketingmaßnahmen (neue Kampagnen und Werbekanäle)

 

Stufe 3: Substanzabbau

  • Sinkende Durchschnittserlöse
  • Kostensenkungsprogramme bestimmen die strategischen Leitlinien
  • Steigende Produkteinführungsraten
  • Verlagerung in der Produktion ins Ausland
  • Logo- und Namensänderungen

 

Stufe 4: Sanierungsfall

  • Fundierte Verluste
  • Rasche Wechsel in der Führung
  • Hohe Abhängigkeit vom Handel
  • Fremdbestimmte Sortimentserweiterungen
  • Opportunistisches Tagesgeschäft als Strategie
  • Verzicht auf die eigene Leistungsgeschichte

 

Nicht Werbung, sondern Leistungen machen Marken

Erkennt man diese ineinandergreifende Stufenfolge, gilt es unmittelbar einzugreifen. Wo beginnt man mit der Stärkung? Eines scheint häufig viel zu schnell klar zu sein: Am liebsten beginnt man bei der Werbung und Kommunikation des Unternehmens. Ob die Kampagne „refreshed“, das Logo modernisiert oder gar der Name gewechselt, das Farbklima angepasst oder gleich die gesamte Marke „repositioniert“ wird – hier scheint der stärkste Hebel, um die Marke wieder auf Spur zu bringen.

Das ist eine Folge der immer noch verbreiteten Auffassung, Marke sei eine Ansammlung von Bildern im Kopf des Konsumenten. Der Kunde begegne der Marke also vor allem durch Werbung. Wenn man verloren gegangene Bindungskräfte aktivieren wolle, dann gelte es durch eine aufmerksamkeitsstarke Marke die Kunden zu reaktivieren.Deshalb werden ambitionierte und schöne Werbungen mit niedlichen Kindern, hübschen Frauen und tapsigen Tieren produziert, die ästhetisch sehr ansprechend sind … aber genauso gut für das Konkurrenzunternehmen stehen könnten.

Aufmerksamkeit und Emotion sind auch im Jahre 2017 keine Währung mit der Löhne und Mietkosten gezahlt werden können

Emotionen vergessen

Aufmerksamkeit und Emotion sind auch im Jahre 2017 keine Währung mit der Löhne und Mietkosten gezahlt werden können – selbst wenn die stylishen Berater von trendigen Agenturen nicht aufhören das Loblied auf die „Aufmerksamkeitssteigerung“ und „Emotionalisierung“ zu singen. Zum Schluss hat die Marke nur eine Aufgabe: Mehr Geld in die Kasse zu bringen. Daher sollte auch der einzige Parameter bei der Bewertung der Qualität einer Werbung sein, ob sie die Wertschöpfungskraft direkt erhöht. Der Markentechniker Hans Domizlaff schrieb vor gut 70 Jahren sinngemäß: „Wenn die Menschen sagen, die Werbung war gut, dann war die Werbung schlecht. Wenn sie sagen, das Produkt muss ich kaufen … dann hat man alles richtig gemacht.“

Die einzige Aufgabe der Werbung ist es dafür zu sorgen, dass mehr Geld verdient wird als ohne sie

Aus unserer Erfahrung stellen wir immer wieder fest, dass sich kaum noch jemand traut diese simple Anforderung zu definieren. Vielmehr ist es der Werbebranche in den vergangenen zwei Jahrzehnten gegenüber ihren Kunden gelungen zwischen Image- und Produktwerbung zu differenzieren. Imagewerbung ist ein anderes Wort für: Macht viel Gefühl muss aber kein Geld verdienen. Die positiven Auswirkungen würde man erst viel später erfahren. Welch absurde Vorstellung: Die einzige Aufgabe der Werbung ist es dafür zu sorgen, dass mehr Geld verdient wird als ohne sie. Oder: Wenn es den Menschen Geld wert sein sollte für ihr Produkt zu bezahlen, dann sollte es ihnen auch wert sein über ihr Produkt zu berichten.

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der Mensch heute den Unternehmen anders vertraut als zu den Zeiten als wir noch nicht jede freie Sekunde auf den Bildschirmen unserer Smartphones herumwischten. Richtig ist: Kunden begegnen einer Marke heute an zahlreichen höchst unterschiedlichen Stellen. Als denkendes Wesen verbindet der Mensch diese konkreten Erfahrungen und bildet an Hand seiner Beobachtungen ganz eigenständig sein Urteil. Da mag eine Marke noch so stark im „relevant set“ sein oder mit ihren Awareness-Werten durch die Decke gehen: Ob eine Marke im entscheidenden Moment „richtig“ ist, beurteilt der Mensch immer noch auf Grundlage ihrer Leistungen und nicht, weil der letzte Werbespot so lustig war. Markenkraft entsteht durch „deutende Erfahrung“.  Aus konkreten Ursachen bildet der Mensch sein abstraktes Urteil.

Marken müssen durchgesetzt werden

Marketingtechnisch wird es besonders kritisch, wenn sich Widersprüche bei einer Marke auftun. Beispielsweise zwischen Werbeglamour und Verkaufsort, zwischen einstiger Preisstellung und aktueller Preisspreizung, sprich Verbilligungen; was meist einhergeht mit Produktvarianten, die in gestaltfremden Distributionskanälen (Internetdiscounter) auftreten. Derartige Ungereimtheiten zwischen geschichtlich aufgebauter Wertposition und aktueller Rabattpolitik mag man als „Reichweitenaktionen“ abtun, allerdings untergraben sie die Wertschöpfungskraft einer Marke dauerhaft und schwerwiegend.

Nicht der Markt bestimmt die Marke, sondern die Marke muss sich im Markt durchsetzen

Mögen scheinbare Marketingtrends sich alljährlich ablösen – vom Neuromarketing zum Story-Telling – Markentreue beginnt im Unternehmen. Denn man bleibt nur dem treu, der sich selber treu bleibt. Nicht der Markt bestimmt die Marke, sondern die Marke muss sich im Markt durchsetzen. Schließlich ist der Markt nicht die Bedingung, sondern das Ergebnis von Geschäft. Er bildet sich durch die Aktivitäten der Unternehmen, von denen die tonangebenden die wirtschaftlich profilierten Marken sind.

Die Stellschrauben der Markenaktvierung kennen

Systematisch betrachtet greifen Marktteilnehmer vor allem an vier komplexen Bereichen auf die Marke zu:

  • Namen/Zeichen
  • Produkt/Dienstleistung
  • Distribution
  • Kommunikation

Die Aufgabe eines Unternehmensmanagers ist, diese hochkomplexen Bereiche im Sinne des übergreifenden genetischen Codes der Marke einheitlich zu führen. Es gilt, das Können des Unternehmens an den Kontaktpunkten zur Kundschaft in den Markt zu übertragen. Ziel: Der Käufer erfährt die Zusageverlässlichkeit des Unternehmens im Sinne einer unterscheidbaren Einheit, die Orientierung erlaubt und dann Kaufbereitschaft erzeugt. Das auf diese Weise aufgebaute positive Vorurteil verdichtet sich zur erfolgsrelevanten Markenenergie.

Soll dem Patienten dauerhaft geholfen werden, so ist es nötig, seine Biografie zu ergründen, seine Erfolge und Niederlagen zu kennen

Nunmehr wird deutlich, über welche Leistungsbereiche der Markenmanager innerhalb seines Markenkörpers verfügt. Er kann nach sorgfältiger Analyse der Schwachpunkte und seiner Ressourcen einen Mobilisierungsplan entwickeln. Die zu treffenden Entscheidungen stützen sich nicht auf Marketingtrends oder seriellen Erfolgsrezepten der Konkurrenz. Sie basieren vielmehr auf dem individuellen Erfolgscode des jeweiligen Leistungskörpers.

Das Verständnis für Markenindividualität ist die Basis damit eine dauerhafte Markenstärkung gelingen kann. Diese Form der Markenaktivierung ist am ehesten mit der Arbeit eines Psychologen vergleichbar: Bei Behandlung eines Patienten ist es durchaus möglich, nach einem kurzen Gespräch die aufgetreten Problem mit wirkungsstarken Medikamenten zu betäuben, jedem ernsthaften Beobachter wird allerdings klar sein, dass die Ursachen für eine Krise nicht gelöst sind und allenfalls für eine gewisse Zeit überdeckt werden. Soll dem Patienten allerdings dauerhaft geholfen werden, so ist es nötig, seine Biografie zu ergründen, seine Erfolge und Niederlagen zu kennen, um auf Basis dieser Entwicklungen Regelhaftigkeiten zu begreifen. Erst aus der Ergründung von Ursachen und Sensibilisierung eingefahrener Verhaltensweisen lassen sich Gegenstrategien entwickeln, die Probleme ursächlich verdeutlichen und die Möglichkeit zu Lösung aufzeigen. Diese Methodik nimmt Zeit in Anspruch und  verlangt eine intensive Beschäftigung, im Ergebnis aber steht ein individueller Entwicklungsplan.

Den Kunden stets die an der Marke geschätzten Leistungen in gleicher Weise bieten

Ein Markenfitnessprogramm sollte von einem systemischen Verständnis der Marke ausgehen, nur dann können die realen Ursachen der Markenentwicklung erkannt und die signifikanten Hebel eingesetzt werden. All zu häufig werden austauschbare Korrekturprogramme eingesetzt, die zwar innerunternehmerisch zu funktionieren scheinen, markenbezogen jedoch noch weiter schädigen. Es ist für einen Markenmanager essentiell auch in schwierigen Zeiten, so weit es irgend geht, den eigenen spezifischen Kurs zu halten. Alle Aktivitäten sollten darauf abzielen, den Kunden stets die an der Marke geschätzten Leistungen in gleicher Weise zu bieten und ihr Vertrauen zu bestätigen.

Um dies planvoll sicherzustellen, müssen die erfolgsrelevanten Stärken der Marke, die in den verschiedenen Abteilungen des Unternehmens erbracht werden im Detail identifiziert werden. Diese Basis ermöglicht der Marken- und Unternehmensführung nach klar definierten Parametern zu korrigieren und vorhandene Mobilisierungspotenziale aufzudecken. Ganz emotionslos.

Dr. Oliver Errichiello ist Geschäftsführer des Büros für Markenentwicklung in Hamburg. Er ist Verfasser mehrerer Fachbücher sowie gefragter Experte zum Thema Marke und Dozent für Markenmanagement an der Hochschule Luzern. Weitere Informationen unter www.buero-fuer-markenentwicklung.com

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